Wilhelmshaven

Niedersachsen, Deutschland

„Don‘t mention the War!“, ein wirklich ernstgemeinter Vorsatz, den ich als Autor bei dieser Serie von Städtemonographien beherzigen wollte. Doch bei so manchen deutschen Städten bleibt nur ein frommer Wunsch. Wie bei Wilhelmshaven, DER deutschen Marinestadt. Wer dem Filmklassiker „Das Boot“ liebt, muss hier hin. Ein Hafenstädtchen, geplant von kaiserlichen Architekten, buchstäblich auf dem Reißbrett und in einer, den damaligen Verhältnissen rekordwürdigen Bauzeit bereits 1869 als erster deutscher Kriegshafen an der Jade eingeweiht.
Vorher gab es hier nur einige friesische Siedlungen, aber mit der Marine siedelte sich im Süden der neuen Hafenbecken eine kleine Siedlung an, die mit den Jahrzehnten immer größer wurde. Bis heute hat sich Wilhelmshaven um den Marinestützpunkt herum entwickelt. Die Altstadt, soweit davon die Rede sein kann, entstand im wesentlichen bis 1888.
Im zweiten Weltkrieg fielen aber auch hier die Bomben, Ende 1944 sollen etwa 60 Prozent aller Wohnhäuser zerstört gewesen sein. Was sich wiederum deutlich im Bild der lokalen Architektur Wilhelmshavens erklärt. Eine Melange aus verschiedenen Epochen: Gründerzeit, Jahrhundertwende, Jugendstil, vereinzelt auch Heimatschutztrallala aus der Nazizeit – alles ganz wild zersetzt durch Fassaden mit Bauhaus-, Brutalo und allen möglichen Betonstilen. Dabei alle erdenklichen Spuren von der kaiserlichen Gründerzeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.


Die Marine bekommt der Zivilist heute im Wilhelmshavener Stadtbild kaum noch zu Gesicht. Spuren gibt es aber zahlreich. Da ist das Portal des alten Marinearsenals, das von aufmerksamen Spaziergängern entdeckt werden kann, mit einem beeindruckenden Bundesadler aus Eisen vor der Tür und einer grossen Uhr auf dem Portikus, die bereits bei der Matrosenrevolte 1918 eine Rolle gespielt hat. Verblichene Buchstaben auf alten Mauern: Torpedowerkstatt. Klingt so weit her, wie Zeppelin, Pickelhaube und Panzerschiff. Wenn man ganz genau hinguckt und nichts übersieht.
Werden auch Denkmäler in Grünanlagen versteckt, die riesigen Weltkriegsbunker, mitten in der Stadt, lassen sich nicht so leicht verstecken. Merke: Aus der Kaiserzeit stammt der dunkelrote, glasierte Backstein. Apropos Bunker: In Wilhelmshaven findet sich sogar, eigentlich völlig logisch, ein Bunker Museum. In einem öffentlich zugänglichen Luftschutzbunker und drumherum gibt es, so jedenfalls die Betreiber, die größte Sammlung an Kleinbunkern, Splitterschutzständen, Brandwachen und verwandten Fragmenten. Derzeit ist ein neues, noch größeres Museum im Aufbau. Zeugen der Weltkriege und Zeitzeugen aus dem Kühlschrank des Kalten Krieges. Scheiss Krieg.


Aber in den neunziger Jahren, als der kalte Krieg zu einem besoffenen Frieden wurde, bedeutete die allgemeine Abrüstung den Niedergang von Wilhelmshaven. Man wollte sich „finden“, eine eigene „Identität entdecken“, hiess es da von höchst offizieller Seite. Ich hätte gerne gewusst, ob „Schlicktown“, so heißt die Stadt unter Einheimischen und, wie Wilhelmshavener sagen, „eingeweihten Auswärtigen“, seine ganz eigene Identität endlich entdeckt hat oder noch sucht. Über Geschichte und Geschichten verfügt diese kleine Hafenstadt trotz relativ kurzer Annalen auf jeden Fall. Das fängt ja beim Rathaus an. Als monumentaler Finger aus Backstein türmt sich dieser Verwaltungsbau mit integrierten Wasserturm(!) im künstlichen Zentrum der Stadt auf. Viele Besucher sind sich bei dieser Burg sicher: Nazibau. Stimmt aber gar nicht. Erbaut wurde dieser eigenwillige Klinkerbau im Stil des Backsteinexpressionismus von Professor Fritz Höger (Chilehaus, Hamburg), entstanden bereits 1929. Davor ein imposanter Platz, auf dem Hitler Aufmärsche beiwohnte und dessen Gigantomanie deshalb mit einem hässlichen Klotz aus dem Achtzigern genommen wurde, der die Längsachse brach. Wieviele Marinesoldaten hier wohl stramm standen und ihren ideologischen Arschtritt verpasst bekamen, bevor sie auf dem Meer verheizt wurden. Schiffe gibt es aber auch hier nicht zu sehen. Der neuer Marinestützpunkt mit sämtlichen Bundeswehreinheiten liegt abgeschieden und abgeschirmt im Norden. Wer Schiffe und Boote des Krieges sehen will, muss sich südlich der Kernstadt halten: zum Wasser hin, über die eisernen Kaiser-Wilhelm-Brücke den Ems-Jade-Kanal überqueren und dann gleich links herum. Dort, wo der Zerstörer „Mölders“ an seinem Gnadenanker liegt, auf dem Gelände des Deutschen Marinemuseums, gibt es viel mehr zu sehen, also auf dem ersten Blick ersichtlich ist. Stundenlang lassen sich hier maritime Exponate studieren.

Wer lieber Fische vorzieht: Schräg gegenüber dem Museum liegt das Aquarium Wilhelmshaven. Wer Musik mag, kann den Abend im „Kling-Klang“ in der Börsenstrasse, Ecke Mitscherlichstrasse ausklingen lassen. Dort ist eigentlich immer noch etwas los, wird gesagt.

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