Während der folgenden Tage bekam ich Jerry Brugman eigentlich überhaupt nicht mehr zu Gesicht.
Außer die Toilette und das Waschbecken schien er keinerlei Armaturen meines geräumigen Bades zu benutzen, auf jeden Fall hinterließ er keinerlei Spuren. Ich glaube, nach dem dritten oder vierten Tag ließ er sich dann mal wieder blicken, stand einige Zeit wertfrei im Raum herum und setzte sich dann schweigend auf einen meiner Ledersessel.

Er versuchte mit umständlich zu erklären, dass er sich nun endlich auf diesem Kontinent eingelassen hätte, sich an Natur und Zeitverschiebung gewöhnt hätte und sich nun einlassen könnte, auf Deutschland, „diese Länd“.
Er kannte dieses „Länd“ einmal, könne sich aber nicht mehr daran erinnern, zu lange sei es her gewesen, als er damals „mitging“, nach Amerika.
Ich fragte nicht mehr nach dem „weshalb-und-warum“, weil ich mit meinen Gedanken eigentlich ganz woanders war.
Aber ich erinnerte mich später daran und irgendwie interessierte es mich schon etwas.
Mir war klar, dass ich viel mehr an Dingen der USA interessiert war, als etwas über Deutschland zu erzählen. Was gab es da auch schon zu erzählen.
Aber Jerry Brugmann gab sich wortkarg: er lebt allein in Yonkers, erzählte er, das wäre eigentlich nicht richtig New York City, sondern eher so am Rand, in New Jersey.
An diese Reise kam er durch einen Aushang in der Uni, an der er arbeite und sich deshalb auch für dieses Stipendium bewerben konnte. Er bewarb sich dann „instinctly“ und wurde ganz schnell, „instantly“, angenommen, was ihn ziemlich wunderte.
Und diese Gelegenheit konnte er sich nicht nehmen lassen, er konnte ja auch, er war ja ungebunden, wie er erwähnte.
Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass so ein Schrat gebunden war. Vielleicht noch gesegnet mit vielen kleinen Anarchisten-Kindern.

Ganz beiläufig erwähnte er dann, sich ganz dringend erholen zu müssen. Ob es in dieser schönen Stadt wohl ein „Spa“ geben würde? Ein „Recreation Center“? Schließlich kam ich dahinter, dass ein Schwimmbad gemeint war. Eine Badeanstalt, wie ich dozierte, um die Gelegenheit wahrzunehmen, an die Vernachlässigung der deutschen Sprache durch die Deutschen selbst aufmerksam zu machen. Es würde so viele schöne, alte und längst vergessen Worte geben, die nahezu aussterben. „Und Thomas Mann?“, fragte Jerry zaghaft, wobei er „Mann“ eher wie „Man“, wie seinen Namen „Brugman“ aussprach. Die Deutschen, klärte ich ihn auf und war mir durchaus der Gefahr bewusst, eventuell Illusionen zu zerstören, lieben zwar, kennen aber kaum die Werke ihrer Meister. Und so ist es auch mit den Gebrüder Mann. Wenn er wegen der Manns ausgerechnet nach Lübeck gekommen sei, solle er sich warm anziehen. Und meinte das natürlich ironisch, hatte aber den Eindruck, dass sich der kleine Mann auf einmal ein kleines bisschen fürchtete. Ich kam deshalb wieder auf die Badeanstalt zurück. Mir fiel da eigentlich nur ein Schwimmbad in der Innenstadt ein. Hier im Haus gab es zwar auch eins, das gehörte aber zum Hotel und konnte von mir natürlich nicht genutzt werden.

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