Valenica

Valenica, Spanien

Geliebte Stadt der Orangen. Zugegeben – ein Ort der von mir wegen des Massentourismus eher gemieden wird; wer hört aber schon auf Klischees.
Der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway hat Valencia geliebt, besonders den Strand von Cabanyal. Hier entstanden also nicht nur Klischees, sondern auch Romane, übrig geblieben sind auf jeden Fall die Stroh-Sonnenschirme am Strand, die in dieser Art dort seit den 1920ern herumstehen. Mindestens.
Vor Ort stellte sich dann jedenfalls heraus, dass vom Massentourismus nicht die Rede sein konnte.

Der Strand war dennoch gut besucht, Hems Lieblingslokal La Pepita hat seine besten Tage schon hinter sich, zumindest von außen, außerdem ist der Laden nur Abends geöffnet, eine telefonische Reservierung obligatorisch.
McDonald’s undsoweiter gibt es dort in der Nähe aber auch, ein Abenteurer ist ja nicht so wählerisch.
Der Strand ist auch nachts klimatisch sehr angenehm, zumindest statistisch an rund 300 Tagen im Jahr.

Hier in Valencia endet vielfach manche Suche nach dem heiligen Gral, dem echten, tatsächlich realen historischen Kelch des letzten Abendmahl Jesu Christi. So manche andere Relikte behauptet auch von sich, der eine echte einzige heilige Gral zu sein. Jener Kelch aber, der in der Kathedrale von Valencia aufbewahrt und von Gläubigen verehrt wird, soll nach Meinung vieler Historiker und Theologen der wirklich authentische einzige und echte heilige Kelch Jesu sein.
Dieser Kelch wird in der Kathedrale öffentlich ausgestellt, gegen ein kleines Eintrittsgeld und wenn man ihn nicht schon besitzen kann, dann möchte man ihn wenigsten in den Händen halten. Oder zumindest mal sehen.
Dazu muss ich ja nicht gläubig sein.

Das Abenteuer nimmt seine erste Etappe mit der letzten Bahn zur Station Xativa, direkt an der Station Nord, dem Anfangspunkt von Hemingways erstem Besuch. Bekleidet mit Senkern von Palladium, Chino-Shorts und gestreiftem Polohemd von Levis, vielmehr ist nicht nötig, es ist heiss und einem unverzichtbaren Rucksack. Aus dem Untergrund hinauf dann die Feststellung, es ist sogar sehr heiss. Dann vorbei am Plaza del Toros, der Stierkampfarena, über die Strasse zum Placa del Ajuntament, diesem Schlauch von einem Platz, der bei zahlreichen Feierlichkeiten ein undurchdringbares Farbenmeer ist. Gleich am Anfang, auf der rechten Seite das historische Postamt. Spontane Gedenkminute in Richtung Hemingway: Sein berühmtes Telegramm nachhause, nachdem seine ersten 60.000 Wörter im Manuskript fertig gebaut waren.
Weiter geht es nach dieser Erinnerung hoch zur Kreuzung mit dem markanten Rundbau. Das Schnellrestaurant unten mag ignoriert werden. Rechts und links überall Andenkenläden, Fast-Food-Lokale und Klamotten-Shops mit Industrie-Kleidung unterschiedlicher Qualität und Preisstufen, südamerikanische Rhythmen, gemischt mit aktuellem Soundfetzen; die letzten Versuchungen auf dem Weg zum heiligen Gral.
Man hält sich dann rechts und kommt irgendwann auf den Place de la Reina; wer es nicht auf Anhieb findet, fragt sich ganz einfach durch. Englisch ist in Spanien sehr häufig möglich, optimaler scheint aber Französisch. Deutsch hingegen seltener. Geradezu königlich gerät hingegen der spontane Umgang, wenn versucht wird, in spanischer Landessprache zu kommunizieren.

Auf dem Platz ist die Kathedrale bereits von weitem zu sehen, der Eingang zum Ort des Gral ist jetzt nicht mehr zu verfehlen, die letzten Meter für einen Pilgerer, der gar keiner ist.
In der Kathedrale selbst beeindruckt die lange Historie, die aus den Mauern förmlich ausgeschwitzt wird. Knochen und Ketten eines Heiligen als Beweise der Religion.
In der Gral-Kapelle dann Enttäuschung, es scheint unmöglich zu sein, den Kelch auch nur zu berühren. Zumindest sehen kann man ihn; manche Gläubige behaupten sogar, ihn spüren zu können. Andere sagen, das liege an den besonderen Klima- und Luftverhältnissen in der Kapelle.
In dem hohen, grauen Steingebäude sitzen die Besucher ehrfurchtsvoll vor einem Altar, der den Gral golden präsentiert, der dort ganz winzig weit in einer Steinnische steht. Einige Anwesende weinen, andere gehen näher heran.
Ehrfurchtsvolle Ruhe und der Geruch von Jahrhunderten. Hier sassen und glotzten sogar schon Menschen wie die Queen und John F. Kennedy. Ob allerdings Hemingway damals auch irgendwann mal hier herumstand, weiß ich nicht. Der Papst hat tatsächlich das Recht, während einer Messe einmal im Jahr aus dem Kelch zu trinken. Ganz exklusiv. Ich darf das nicht und finde das sehr ungerecht. Aber wie man gesehen hat, scheint es dann doch nicht zu funktionieren, das mit dem ewigen Leben. Vielleicht ist es aber auch ganz einfach nicht der richtige Heilige Gral?
Wer dann jedenfalls irgendwann mal genug Heiligkeit getankt hat, kann dann anschließend den Kirchenrundgang fortsetzen.
Und sich dabei bewusst werden, dass Valencia Jahrhunderte ein bedeutender Wallfahrtsort gewesen ist. Sogar von Skandinavien aus führten Pilgerwege bis hierher ans Mittelmeer. Abenteuerliche Expeditionen, die nicht selten über Leben und Tod entschieden. Viele Lübecker und andere Hanseaten machten sich zu Fuss auf, nach Spanien hin, den Gral zu sehen.
Und die Kirche verdiente entschieden mit.

Kaum wird dieser Gedanke gedacht, finde ich mich in einem kleinen Shop wieder, mitten in der Kirche. Hier ist der Gral in vielfältiger Form zu erwerben: gedruckt und geprägt auf Shirts, Taschen, Schlüsselanhänger und sogar als fast maßstabsgetreue Repliken.
Ohne lange zu überlegen kaufte ich mir auch so ein kleines Model, immerhin gelang es so, den heiligen Gral doch noch in den Händen zu halten. Quasi.
Der kleine Kasten mit der Reliquien-Nachbildung kostete 20 Euro und wurde in einer Plastiktüte überreicht, mit aufgedrucktem Kirchenlogo, wie aus einer Boutique.
Da überlegt man dann, wann das damals wohl irgendwann angefangen hat, diese geschäftstüchtigen Synergieeffekte mit den Symbolen und Relikten am Rande des Pilgerwesens. Und wann wohl die Kirche genau derartige Geschäfte an sich gezogen hat. Das wäre doch mal eine Forschung wert.
Und dann denkt man an Jesus, dem wir diesen Kelch doch alle zu verdanken haben, der doch damals die Geschäftemacher aus dem Tempel vertrieben hat. Und dass es doch eine Unverschämtheit ist, dass die Kirche ungeachtet dessen trotzdem ganz ungeniert mit seinem Erbe Geschäfte macht. Aber ich bin ja kein Gläubiger.

Draussen, direkt vor dem Kirchenausgang, gibt es aber in einem kleinen Geschäft ganz ausgezeichnetes Eis.

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