Allerdings sah sich vor einigen Jahren eine Filmproduktion die Anlage an, für eine Krimiserie suchten die geeignete Drehorte. Es sollte um einen Serienmörder gehen, der in seinem Kleingarten seine Mordopfer in Säurefässer verbuddelte. Allerdings wurde da nichts mehr draus, da die Serie vorher dann doch eingestellt wurde.
Aber auch ohne Morde und trotz Begeisterung für Ruhe wird es bei den Schrebergärtnern an der Ostseeküste nicht langweilig. Wer sich nur lang genug auf Lauer legt, kann unter Umstände Zeuge dramaturgisch-großartiger Szenen werden. Insbesondere die Kleintierhaltung kann bei Gartennachbarn für erheblichen Ärger sorgen.
Gnade der Gott der Gärtner jenen Parazellenpächtern, denen es nicht gelingt, bestimmten Leuten aus dem Weg zu gehen: „Na – lasst ihr euren Köter hier wieder überall hin scheissen?“, kreischt da eine rund 60jährige gemütliche Dame jenes ältere Ehepaar an, welches es wagt, hier in sengender Sommerhitze ihr Haustier, eine Art Dackel, über den Sandweg zu schleifen.
„Kackt hier überall hin!“, brüllt diese dickliche Dame, während die beiden, fast in unterwürfiger Haltung, ihren Hund vorbeiziehen, dann nach einem gewissen Sicherheitsabstand jedoch stehenbleiben und mutig erwidern, dass die gute Frau doch lieber schweigen sollte, denn die Bedürfnisse des Haustiers seien „immer noch besser, als sich selbst voll zu scheissen, nicht?“.
Hahaha – einen Moment besteht Zweifel, ob es sich hier um eine authentische Auseinandersetzung, oder nur das schlechte Stück einer gescripteten Reality-Dokumentation handeln könnte.
Das Ehepaar wirkt amüsiert, die dicke Dame langsam stark verunsichert.
Der Mann, dem unsere Anwesenheit unmöglich entgangen sein kann, macht sich sichtlich gerade: „Du lässt Dich doch ständig so volllaufen, dass Du überhaupt nichts mehr mitkriegst, wenn Du selbst ausläufst!“ Der saß.
Offensichtlich hat die Angreiferin mit diesem Konter nicht gerechnet und sieht jetzt zu, sich schnellstens vom Gartengelände zu machen, „Igitt, seid Ihr asozial! Ich habe hier keine Lust mehr, ich will hier nur noch weg!“ – „Schnapsdrossel!“, geben ihr die beiden noch auf den Weg, bevor sie das Gartengelände verlässt.
Ganz offensichtlich ein Fall für das vereinsinterne Schiedsgericht.
Herbert gibt sich jedoch völlig unbeeindruckt und desinteressiert, er tut vielmehr so, als ob diese Szene eben lediglich der eigenen Fantasie entsprungen ist, er mustert lieber ein paar Hecken, die aus der Form geraten scheinen: „Ärger gibt es hier eigentlich kaum.“
Er führt den Gast lieber zum Vereinsheim, zentral gelegen inmitten jener Parazellen.
Ein massives Häuschen, „komplett in gemeinschaftlicher Eigenarbeit entstanden“, wie er stolz betont.
Innen der eichene Tresen, „mit professioneller Zapfanlage“ und draußen die überdachte Sitzterrasse, etwas weiter ein gigantischer Schwenkgrill. Hinter dem Häuschen dann etwas Interessantes für die armen Kinder, die mit dieser merkwürdigen Welt konfrontiert und vermutlich zwangsweise für Stunden darin festgehalten werden: ein kleiner Spielplatz – mit Turnstange, Holzbude mit Rutsche und Sandkiste, die leider von herumstreunenden Katzen als Klo missbraucht wird.
„Kann man leider nix machen“, zuckt Herbert mit den Schultern und zündet sich eine Zigarette an.
Der Zustand der meisten Kleingartenanlagen im Stadtgebiet Lübeck ist überwiegend beklagenswert. Es will kaum noch jemand Arbeit in seine Scholle stecken und ehe die Parazellen ungenutzt brachliegen, lässt man die Leute gewähren. Aufgrund der relativen Nachfrage ist man hier jedoch nicht so rigoros und streng, wie man eigentlich sein sollte. Gerade deshalb trotzdem noch mal die Frage: Warum so wenig Menschen hier, an einem Sonntag? Und wo sind die Jungen? Wo die Familien???
Trotz hartnäckiger Nachfrage bleibt Herbert diffus und versucht auszuweichen. Die Nachfrage an jungen Familien sei in den letzten Jahren schon „enorm“ gestiegen…
Allerdings hätten junge Menschen, besonders „hinsichtlich der gemeinschaftlichen Gemeinschaftsarbeit“ von „Natur aus“ schon Probleme, sich einzufügen. Eigentlich doch unverständlich, würde die Ostsee doch praktisch hier einem direkt vor den Füssen liegen, man könne die Seeluft doch förmlich riechen, oder nicht?
Das einzige, was jedoch hier, direkt zwischen Vereinsheim und Spielplatz duftet, ist allerdings ein verkohltes Stück totes Fleisch auf einem Grill. Und das Meer der nahen Ostsee kann man hier oben weder sehen, noch hören. Höchstens das hochtourige Dröhnen schneller Rennboote und manchmal die Schiffshörner während der Travemünder Woche. Aber die „TW“ ist ja nur einmal im Jahr, davon abgesehen würde er für Ruhe bürgen, meint Herbert, der wieder scharf den Strauch einer Parzelle mustert und sich, noch während der Verabschiedung, daranmacht, sein Zentimetermaß auseinander zu klappen. Ein kurzer Blick – unerwidert: Herbert ist schon wieder mittendrin in seiner Funktion, dabei, das Wachstum dieser Pflanze zu kontrollieren.
Mittendrin in der Vermessung einer Parallelwelt.

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