Umwoke
Berichterstattung
Lübecker Presse, das ist in erster Linie der Lübecker Presseball. Eine bemüht glamouröse Galaveranstaltung mit grosser Tombola und gekauften Prominente, die jährlich mit grosser Mühe veranstaltet wird, aber mit Presse und Journalismus in etwas soviel zu tun hat, wie Monopoly mit Investmentfonds. Egal.
Spätestens seit der Madsack-Konzern die Lübecker Nachrichten geschluckt hat, gibt es keinen richtigen Lokaljournalismus mehr in unserer Stadt. Natürlich gibt es noch eine handvoll tapfere Medientätige, die für Onlinezeitungen wie HL-Live oder den verbliebenen zwei LN-Lokalseiten Inhalte liefern; oft unter prekären Bedingungen. Aber auch davon soll keine Rede sein.
Es geht um Dinge, die nicht berichtet werden, weil es die Menschen in Lübeck „zutiefst verunsichern könnte“, wie ein höherer, nicht genannter Dienststellenleiter es kürzlich mir gegenüber ausdrückte. Es geht um Tätergruppen, die nicht benannt werden sollen (von dürfen darf eigentlich auch nicht…), um Entwicklungen bestimmter Szenen und Orte, die eigentlich in den vorhandenen Formen ein Armutszeugnis für den Zustand der inneren Sicherheit abgeben.
Ausgerechnet die BILD, eine Zeitung, die für woke Menschen eine Art rotes Tuch darstellt, wagt es, fassungslos über ein Video zu berichten, das zwischen dem berühmten Lübecker Holstentor und dem Hauptbahnhof entstanden ist. Direkt an den Grünanlagen, zwischen zwei Denkmalen, dort, wo sich seit einigen Monaten die harte Drogenszene mit dem lokalen Obdachlosenmilieu mischt, entstand jenes Video, dass die brutale und menschenverachtende Vergewaltigung einer Frau zeigt.
„Ein auf dem Bizeps tätowierter, oberkörperfreier Sexverdächtiger soll eine völlig wehrlose Frau sexuell angegriffen haben. Die unglaubliche Tat soll sich am 8. Juli ereignet haben – auf dem Lindenplatz nahe dem Hauptbahnhof in Lübeck.“ So der Bericht der BILD.
Ein Aufschrei bleibt jedoch aus. Es sei nichts bewiesen, so die intellektuellen Meinungsbildner der Stadt. Schliesslich hätte bisher nur die BILD berichtet.
„Bei dem Opfer soll es sich um eine obdachlose Frau (38) handeln, die inzwischen verschwunden ist. Oberstaatsanwalt Christian Braunwarth: „Die polizeilichen Ermittlungen konzentrieren sich auf die Befragung dieser Frau (…), um zu prüfen, ob ein Anfangsverdacht auf eine Straftat besteht.“
Und solange die Polizei in Lübeck prüft, gibt es in dieser Stadt keinen Journalisten mehr, der recherchiert und überprüft. Vielleicht würde der dann Dinge herausfinden, die Lübeck und die Lübecker „zutiefst verunsichern würde“. So bleibt es beim „Eisbergprinzip“ des Lübecker Lokaljournalismus. Ein Teufelskreis.