Wir latschten also los, einmal um die ganze Altstadt. Im Bunkerturm mit der Pizzeria spendierte sie eine Pizza zum mitnehmen, kamen wir unterwegs an einer Kneipe vorbei, gab es Bier. Einen offenen Bunker fanden wir aber nicht. Wie Kinder turnten wir an einigen dieser alten Bunkern herum, aber irgendwelche alten Adler oder so etwas, konnten wir auch nicht entdecken. Es heißt, dass in Deutschland nach dem Krieg alles sehr gründlich entnazifiziert worden wäre, gab ich vorsichtig zu bedenken. Ob ich schon mal etwas von der IRA gehört hätte? Nichts genaues, gab ich zu. Waren das nicht diese Terroristen? Sie schüttelte verständnislos den Kopf, sagte aber nichts weiter.

Je komischer, je gammeliger die Kneipen waren, umso interessanter schienen sie zu sein. Besonders die alten Kaschemmen, unten am Hafen. Sinéad studierte die Existenzen an den Tresen und studierte neugierig das Inventar. Ich versuchte über Hafentraditionen und Seemannsbräuche zum dozieren, versuchte krampfhaft, irgendwelche Geschichten zum besten zu geben und gleitet immer mehr in ein unverständliches Halbenglisch ab, ein Gebrabbel aus deutschen und englischen Begriffen, auf einer breiten Basis Plattdeutsch. Das fand sie sehr komisch. Das man mich damit vielleicht durchaus in den einen oder anderen Song hätte einbauen können, das schlug ich ihr dann doch nicht vor. Ich schleppte sie auch nicht ins „Zillo“, an die Untertrave, um sie dem guten „Easy“ vorzustellen, der sich dann vielleicht darüber wunderte und beeindruckt war, was mir dann in Zukunft vielleicht nützlich werden könnte. Auf diese Idee bin ich auch nicht gekommen. Diese Hafenatmosphäre fand sie aber geheimnisvoll, „spooky“. Darauf fährt auch Marc Almond voll ab, wußte ich. Ob sie den kennen würde, Marc Almond? Und ob sie schon mal Bronski Beat begegnet wäre. Hmmhm, meinte Sinéad darauf, solchen Leuten würde sie jetzt immer wieder mal über den Weg laufen. Das ist bestimmt cool, schätzte ich. Nur manchmal sei das lustig, erwiderte sie, meistens sei es auch langweilig und ganz oft sogar desillusionierend, „know´y´why?“. Ich hatte keine Ahnung. Weil nämlich, so Sinéad, manchmal sich die eigenen Helden als ganz einfache Arschlöcher herausstellen, die nichts anderes wollen, als Dein Geld – und Dich damit dann in Frage stellen… Habe ich damals nicht verstanden, erst viel später.

Schliesslich landeten wir in irgendeinem Guiness-Pub. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo der damals in Lübeck war, jedenfalls konnte ich da nicht mehr. Ich habe auch keine Ahnung, wieviele Biere sie mir spendiert hat, auf jeden Fall war ich ziemlich fertig.
Ich erinnere mich nur noch undeutlich, fast schon schemenhaft daran, dass ich von ihr nach Hause, zu Tante Kate, geschleppt wurde. Da konnte ich dann meinen ersten Rausch ausschlafen.

Am Besten an der ganzen Exkursion fand ich, dass niemand, wirklich keine Sau, Sinéad erkannt hat. Niemand hat uns angesprochen, sooooo unbekannt war Sinéad ja nun nicht gerade.
Am nächsten Morgen war sie dann schon ziemlich früh verschwunden. Allerdings schlief ich auch sehr lange, aber als ich wieder wach war, erzählte mir Tante Kate noch davon. Sinéad hatte sich wohl noch darüber aufgeregt, dass mich Tante Kate nicht ein bisschen traditioneller erzogen hat, weil ich keinerlei Ahnung von Irland hatte und schon nach drei Bier schlappt machte.
Wir haben dann nie wieder etwas von Sinéad gehört.
Und wenn das auch alles nicht ganz stimmt; ich wette, Sinéad hätte etwas Seemannsgarn geliebt. In Erinnerung bleibt mir eine Neugierige, immer Suchende.
Suchend, nur – nach was? Zuletzt soll Sinéad O’Connor nur noch nach Frieden gesucht haben.
Und diesen Frieden hat sie schliesslich gefunden.
„There is a Light…“ – oder: Da bleibt ein Licht.


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