Lotte Walthers
Handschrift
Die deutsche Schauspielerlegende Heinz Rühmann spielte in „Keine Angst vor großen Tieren“ 1953 den eher unauffälligen und ängstlichen Bürger Emil Keller, der durch ein Erbe an drei ausgewachsene Tiger gerät. Unter zahlreichen Verwicklungen versucht Emil den Tieren aus dem Weg zu gehen, verliert schliesslich jeden Mut und begibt sich, des Lebens müde geworden, in die Manege. Nunmehr völlig angstfrei ist Emil überrascht, dass seine Tiger ihm gehorchen. Mit neuem Selbstbewusstsein fordert er anschließend auch Respekt bei den anderen großen Tieren, wie seinem Chef, ein.
Wer heute Gelegenheit hat, diesen Film zu sehen, sollte darüber bewusst sein, dass die Tierszenen mit echten Tieren, gemeinsam mit Rühmann in der Manege, gedreht wurden. Den Mut und die technischen Grundlagen, mit Raubkatzen zu arbeiten, holte sich der Schauspieler in Lübeck. Bei der Dompteuse Lotte Walther, die erst wenige Jahre zuvor in Lübeck ihren kleinen Tierpark eröffnet hatte, machte sich Heinz Rühmann mit ihren Löwen vertraut. In Israelsdorf, im Wald an der Allee nach Travemünde, beschäftigte sich Rühmann mit den Grundlagen der animalischen Verhaltenspsychologie, guckte Walther zu und freundete sich mit den Tieren an. Schon Anfang der 1950er Jahre verfügte die Zoo-Direktorin über sieben Löwen und mehr als doppelt soviel anderen Tieren, darunter unter anderen Bären, Affen und einem Wolf.
Berühmte Handschrift
Ob die Schauspielstudie Rühmanns in Lübeck-Israelsdorf seine Darstellung erleichterte und ob der prominente Künstler neben Löwen noch andere Sehenswürdigkeiten in Lübeck besichtigte, ist unbekannt; seine Biografien geben darüber leider nichts her. Der Film und die souverän abgelieferten Szene sprechen jedoch dafür. Einige altansässige Lübecker schwingen sich, wenn man sie nur geduldig fragt und sprechen läßt, sogar zu der Behauptung auf, Rühmann sei damals im nahen Waldhotel Twiehaus untergebracht gewesen und hätte sich an den üppigen Windbeuteln, eine berühmte örtliche (ursprünglich aber österreichische) Spezialität, nämlich ein mit fetter Sahne gefüllter Brandteig, den Magen verdorben.

Zirkuskenner wollen an Rühmanns Gestik in diesem Film jedenfalls eindeutig Lotte Walthers Handschrift erkennen, eine Handschrift, die selbst Spuren an berühmten Raubtiernummern im fernen Las Vegas hinterlassen haben sollen.
Lotte Walther selbst kann niemand mehr danach fragen, sie starb im Sommer des Jahres 1976 und hinterliess einen gewachsenen Tierpark, der immerhin von bis zu 80.000 Besuchern jährlich aufgesucht wurden und sich in die Erinnerungen unzähliger Lübecker Generationen festsetzte.
Schlechtester Tierpark Deutschlands
Nach Walthers Tod führte ein Tierpfleger mit seiner Frau den Zoo, investierten aber leider nicht angemessen in die Anlagen. Der Verfall nach seinen Lauf. Fast 25 Jahre lief der Betrieb, bis schliesslich Tierschützer den Zustand und die Pflege des Zoos und seiner Tiere kritisierten. Die Kritik wuchs, eine große deutsche Illustrierte kürte im Jahre 2000 den Lübecker Zoo zur „schlechtesten Anlage Deutschlands“.

Hinzu kam, dass nach den unsäglichen „Menschenschauen“ des vergangenen Kaiserreichs auch hinsichtlich dem Ausstellen von Tieren ein gesellschaftliches Umdenken eingesetzt hat. So blieben die gut gemeinten Rettungsversuche des Lübecker Zoos nicht viel mehr als selbstverliebte PR-Veranstaltungen. Es sollten jedoch noch fast zehn Jahre ins Land gehen, in denen die üblichen kommunalpolitischen Interesse über eine Nutzung stritten, bis schliesslich 2010 der Tierpark noch vor Ablauf des Pachtvertrages geschlossen wurden. Bis dahin verfielen aber nicht nur Gehege, Anlagen und Bauten, sondern besonders litten die Tiere. Bruno, ein Braunbär und lokale Attraktion, litt zuletzt unter Arthrose und Tumore an Maul und Klauen. Eine Tierärztin, die Bruno begutachtete und untersuchte, forderte das sofortige Einschläfern des armen Tiers. Aber dieser humane Gnadenakt wurde von bestimmten Bürgern der Stadt in die Länge gezogen – ganz bewusst: Bruno hätte als ältester lebender Braunbär in Gefangenschaft einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde bekommen können.
Die verfallenen Gehege, Käfige und Wirtschaftsbauten sind mittlerweile verschwunden. An den vergangenen Lübecker Zoo von Lotte Walther erinnern nur noch ein paar Fundamente und Steine. Was bleibt, sind Kindheitserinnerungen.