auf Reserve mit Prinz Harry

Harry Wales – Reserve

Wie soll ich nur beginnen? Die Memoiren, oder treffender: Enthüllungen des britischen Prinzen Harry von Wales verkaufen sich derzeit wie geschnitten Brot. Der 507-seitige Wälzer geht dabei so diskret und unauffällig über die Ladentheke, wie einst die berühmte „Bückware“ in der Ostzone.
Jener Stoff, um den es dabei geht, scheint also viele zu interessieren, wenn es auch nur sehr wenige zugegeben. Mich interessiert eigentlich nur die Verbindung zwischen Königshaus und Militär, vielleicht noch der Spannungsbogen zwischen Traditionen und Alltag. Doch geht es eher um die Diskrepanz zwischen „Heir“ und „Spare“ – zwischen der Majestät des ersten Prinzen und der „Reserve“. Denn kaum jemand außerhalb der Welt der britischen Krone ist sich bewusst, was es bedeutet, die „Reserve“ zu sein. Niemand weiß, worin die eigentliche Aufgabe des Bruders eines Thronfolgers besteht. Nämlich grundsätzlich als eine Art Ersatzteillager des künftigen Königs. Benötigt dieser nämlich irgendwann mal eine Blut- oder Organspende, steht der Zweite, also die „Reserve“ in der Pflicht seiner Lebensaufgabe. So etwas kann trotz der unbestrittenen Privilegien am Hof traumatisieren.


Traumatisiert ist Harry auf jeden Fall. Traumatisiert vom Unfalltod seiner Mutter und besonders von den Umständen ihres Todes, am Ende einer Hetzjagd durch Paparazzi. Jenen Bildlieferanten der „Regenbogenpresse“, die fälschlicherweise „Journalisten“ genannt werden, mit dem Journalismus aber nichts zu tun haben. Harry hasst alle Journalisten, vergisst dabei aber, dass auch in England die meisten Journalisten einen guten Job machen und sich um das höfische Leben kaum kümmern.
Aber alleine dieser Hof scheint für ein weiteres Trauma Harrys gesorgt zu haben. Wenn es stellenweise auch so scheint, als ob hier ein Praktikant über seinen aufregenden Job am britischen Königshaus berichtet, scheint dieses Leben doch verstörend und künstlich zu sein und ganz sicher für ein weiteres Trauma gesorgt zu haben.


Das Buch an sich ist schnell erzählt. Harry Geschichte beginnt nach dem Tod seiner Mutter, schildert drastisch das Ende seiner Kindheit, erzählt ausführlich über die Jugendjahre auf Elite-Schulen und spart dabei auch nicht mit drastischen Schilderungen über völlig verfehlte Faschingspartys und ausführlichen Drogenerfahrungen. Harrys Armeezeit natürlich, von der Erstverwendung als Luftraumbeobachter, Qualifizierung als Pilot von Kampfhubschraubern bis hin zu heißen Einsätzen und Kämpfen in Afghanistan. Es geht um falsche, echte und aufrichtige Freundschaften, um mögliche und unmögliche Beziehungen.


Und manchmal bekommt man als Leser, trotz vielem Unverständnis, Mitleid mit dem Prinzen. Mitleid mit einem Schicksal, das sicher durch Geld und Komfort erträglich, dafür aber unausweichlich ist. Harry wurde in einen „Stand“ geboren, aus dem es kaum einen Weg zurück gibt, da es kein „hinein“ gab. Angehörige des Königshauses werden dies durch die Geburt; nicht durch Qualifikation oder nach Bewerbung. Das sollte nicht vergessen werden. Traditionen sind irgendwie auch immer schmerzhaft.
Dennoch wird der Leser mit einem Widerspruch zurückgelassen. Einerseits verachtet der Prinz zu Recht jene Indiskretion, Frechheit und Aufdringlichkeit von Reportern einer „Yellow-Press“, die ihre besonderen Leser – anders als Leitmedien – mit Gerüchten und Lügen fesselt und beschäftigen will. Andererseits aber richtet sich der Prinz mit seinem Buch an genau jenes Publikum – um deren Interesse zu befriedigen und an ihrer Neugierde zu verdienen.
Harrys Ghostwriter soll übrigens, so Gerüchte, bereits an einem zweiten Band arbeiten.