Grass wachsen lassen

Mit Meinungen ist es heute ja so eine Sache. Fragen hingegen sind etwas ganz anderes. Fragen sollte heute noch erlaubt sein. Wenn aber Fragen mit Meinungen verwechselt werden, wird es aktuell oft gefährlich. Fragen lassen sich ergebnisoffen stellen, Meinungen hingegen werden meist verteidigt.

In Ostholstein gibt es an einem bestimmten Weg Gedenkstelen zum Ostholsteiner Todesmarsch. Die insgesamt zwölf Stelen aus Beton sind im Gedenken an jenen April 1945 gestaltet und installiert worden. Damals sind rund 500 Häftlinge aus Auschwitz und Mittelbau über Lübeck und Ahrensbök bis nach Neustadt marschiert, wo sie Häftlingsschiffen verteilt wurden, die anschließend in der Lübecker Bucht durch eine teuflische Aktion der SS im alliierten Bombardement untergingen. Die Überlebenden wurden an den Stränden von Soldaten, Hitler-Jungen und Einwohnern getötet.

Der Weg geht von Lübeck über Bad Schwartau, Pohnsdorf, Curau, Bokhof über Ahrensbök nach Siblin, Sarau, Süsel und führt bis nach Neustadt. In Ahrensbök findet sich unter anderem vor einem Kindergarten bei der Marienkirche Stele Nummer 8.

Das Problem ist jedoch: Die Gedenkstele ist nur noch zu erahnen. Man stolpert nicht einmal darüber zum Gedenken. Man fragt sich, weshalb?
Der „eine“ meint vielleicht, dass hier sprichwörtlich „Grass über die Sache“ gewachsen wäre. Und damit vielleicht auch über dieses dunkle Kapitel der Geschichte. Ein anderer meint vielleicht, dass dieser Bewuchs vielleicht sogar „Absicht“ sei und ahnt hinter dieser Hecke gar einen Vertreter jener Vogelschiss-Partei. Noch jemand anderes fordert dann, legitimiert durch seine Meinung, der Bewuchs müsse sofort entfernt werden. Ein weiterer hingegen behauptet, dass dies alles doch so schön grün sei und ein Gedenken auch so möglich wäre. Auf jeden Fall eine Stele des Anstosses.

Doch wer fragt, erfährt möglicherweise, dass an allem nur der letzte Monat März schuld sei, der ja aus Gründen des Klimawandels besonders warm gewesen wäre. Nächste Woche sei das Kraut vielleicht schon verschwunden. Wer weiß. Fragen und Meinungen gibt es ja so viele.

Tatsächlich weiß man es nicht genau.
Aber am besten, gerade heute, nimmt man immer nur das Beste an.