Der Ian-Curtis-Effekt
zur Nachhaltigkeit von Kultur
Das beste Beispiel an der Nachhaltigkeit von Kultur ist der Ian-Curtis-Effekt. Ian Curtis war ein junger britischer Drogensüchtiger, der 1976 eher zufällig Mitbegründer und Sänger einer Band wurde, die sich nach zweimaligen Namenswechsel „Joy Division“ genannt hat. Als massgebliche Pioniere des Punk entwickelte sich Joy Division zu einer Legende der elektronischen Musik. Legende vor allem aufgrund des frühen Tod es dieses wirklich sehr merkwürdigen wie einzigartigen Ian Curtis, der sich in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai 1980 in seinem Reihenhaus in Macclesfield, Manchester, erhängte. Einen Tag, bevor sich Joy Division auf ihre erste Tour durch die USA aufmachen sollten. Und wollten. Oder nicht?
Später hiess es, dass Curtis eigentlich lieber sterben wollte, als weiterhin im Musikgeschäft tätig zu sein. Aber Mythen werden genauso wie Legenden mit Tinte gemacht, deshalb nehmen wir dieses Zitat nicht allzu wichtig.

Als sich Curtis dann in Manchester erhängte, lag in in meinem Bett in Lübeck und war gerade neun Jahre alt. Ich kannte keinen Ian Curtis. Und wer oder was Joy Division war, war mir damals noch ziemlich egal.
Mittlerweile liegt dieser tragische Selbstmord auch schon 42 Jahre zurück. Aber etwa um 1988 entdeckte ich New Order und kam dann schliesslich auf Joy Division. Das war nichts anderes als Konsequent. Seitdem, spätestens aber seit 1990, war mir der tiefe Bassbariton von Ian Curtis vertraut und seine Texte doch mindestens sehr sympathisch. Zehn Jahre später hing ich also den depressiven Zweifeln eines Mannes an, von dessen Qualen oder gar Existenz ich zu Lebzeiten nicht einen blassesten Schimmer hatte.
Als Ian Curtis Welt unterging, war meine Welt noch in Ordnung. Und das finde ich doch mindestens paradox.
Bis heute hört sich Joy Division alle paar Jahre anders an. Zumindest für mich persönlich. Dieses Phänomen berichteten mir dann aber auch andere, manchen ging es auch bei Songs anderer Interpreten so. Andere Lieder wiederum, da waren wir uns einig, hörten sich auch nach Jahrzehnten genauso an, wie beim ersten Mal.
Und diese Nachhaltigkeit, dass also Songs reifen, sozusagen wie alter Wein, nennen wir seitdem den Ian-Curtis-Effekt.