Bastion Katze
Am Katzenberg waren wir als Kinder im Winter öfter, zum rodeln. Sonst sollten wir uns natürlich von den Wallanlagen fern halten. Denn außer im Winter würden sich hier irgendwelche komischen Onkels herumtreiben. Angeblich. Und die würden, so Andreas, manchmal Jungs anquatschen. Das sei gefährlich.
Wenn ich im Winter am Katzenberg zum rodeln ging, war Andreas meistens dabei.
Wenn im Winter Schnee lag, hatten wir auf unseren Holzschlitten nicht viele Möglichkeiten, schliesslich sind wir in Norddeutschland. Flachland. Die Wallanlagen boten die einzigen, vernünftigen Hügel und Höhen unserer Umgebung. Das die Wallanlagen ganz früher zur Verteidigung der Stadt angelegt wurden und schon vor der Entdeckung Amerikas existierten, erfuhr ich erst später. Hier wurde sich duelliert, hier wurde geliebt und gemordet und mein Großvater war auch davon überzeugt, dass hier sogar die Gebrüder Mann und andere berühmte Lübecker ihre Schlitten den Berg hinaufzogen.
Und an so einem Winternachmittag, irgendwann in den Achtzigern mag es gewesen sein, kam mein Kumpan auf eine fixe Idee.
Kurz zuvor hatte Andreas seine Zahnklammer beim Rodeln verloren und suchte völlig frustriert in drahtigen Knallerbsensträuchern am Abhang, der zur Possehlstrasse hinunterführte, nach dieser Klammer. Das würde zuhause Ärger geben. Ich liess mir trotzdem nicht nehmen, weiter zu rodeln. Nach einigen Runden hatte auch ich keine Lust mehr und war im Begriff, jetzt bei der Suche zu helfen. Unten angekommen, schien Andreas jedoch wie verwandelt. Seine Spange schien er schon aufgegeben zu haben, „scheiss drauf“, aber er wollte unbedingt noch mal auf den Katzenberg hinauf. Verschwörerisch und schweigend schien er jetzt dort oben seine Klammer zu suchen. Merkwürdig.
Auf dem Nachhause fing der bis dahin Schweigende auf der Bahnhofsbrücke an, zu erzählen. Ihn hätte eine alte Frau am Katzenberg angesprochen, als er seine Zahnklammer suchte. Sie fragte, ob er nach den alten Kanonen suchen würde. Die alten Kanonen der Bastion Katze, die noch heute vergessen und verschüttet unter dem Katzenberg verborgen wären. Er würde sie nicht finden. Nicht so.
Und dann hätte diese Frau gemeint, dass man nachts auf dem Katzenberg manchmal noch den Kanonendonner hören könne. „So“, hätte sie sich verrenkt und Andreas winkelte den Arm und stiess mit ausgestreckten Zeigefinger zum Ohr, „so“ hätte sie gemacht, diese alte Hexe.
Aber vielleicht hatte die Frau ja recht, meinte Andreas am nächsten Tag in der Schule, vielleicht wären ja wirklich noch alten Kanonen im Berg vergraben. Wir sollten da mal nachforschen, das würde sich vielleicht lohnen. „Altmetall!“. Sinnvoller wäre aber ein Museum, „was weiß ich?!“
Und tatsächlich, kaum war der Schnee verschwunden, standen wir dann da oben mit einem Armee-Klappspaten herum und versuchten, etwas zu entdecken.
Und suchten.
Und fanden nichts, ausser roten Backsteinfragmenten und Kies. Der Boden war nach wenigen Zentimetern hart wie Beton. Ich zog mich dann schon nach einem Tag dort heraus und hörte dann nur noch, dass Andreas es nach Wochen sogar fertig gebracht hatte, einen Metalldetektor aufzutreiben. Aber alles vergeblich. Schließlich gab es dann noch Ärger mit Polizei und Stadtverwaltung, Abteilung Stadtgrün, nachdem sich Passanten darüber beschwerten, dass in den Wallanlagen Kinder wie Hasen gruben und Löcher buddelten. Es hieß dann sogar, es wäre Sprengstoff im Spiel gewesen.
Jedenfalls war Andreas seit diesem Tag, damals im Winter, verschwunden. Spurlos. Niemand wußte, wohin.
Als ich dann schon älter war, Jahre später, entdeckte ich beim joggen den alten Klappspaten: hoch oben in der Baumkrone einer jener Bäume auf dem Katzenberg.
Und da hängt der Spaten, glaube ich, noch immer.