Das Ganze begann, wie so vieles andere auch begonnen hatte: inmitten einem Kreis von Freunden. Vier Freunden aus der „liberalen Studentenschaft“, einem Klub, der eigentlich nur in unserer Fantasie bestand. Olli, der in den letzten Zügen Jura studierte. Andreas, der irgendetwas technisches studierte, irgendetwas mit Maschinenbau, und natürlich der dicke Uwe und ich.
Ich war der Vierte.
Wir sassen bei Olli, der in der Altstadt wohnte, Altbau. Hier trafen wir uns zu dieser Zeit, um zu feiern und zu streiten.
Man stritt beispielsweise um Dinge, die als typisch deutsch bezeichnet werden – Klischees, Kitsch und Sehenswürdigkeiten. Wir streiten laut und fröhlich, dabei gelten die absurdesten Thesen als mögliche Argumente, wir wogen für und wieder ab, bildeten Meinungen und freuten uns der Freiheit, die uns das streiten erlaubt.

Allerdings hielt ich mich meistens im Hintergrund. Ich hielt mich zurück, was daran lag, dass ich mich hier als der Jüngste fühlte. Ich war seitdem ich denken konnte überall der Jüngste. Aber das war ja gar nicht das Problem.
Jedenfalls kam hier irgendwann die Frage auf, welcher Geruch, Duft oder Gestank wohl mit Deutschland in Verbindung gebracht werden könnte.
Also, wie Deutschland riecht.
Jetzt würde es interessant werden, dachte ich.
Ich weiß nicht mehr, wer jetzt die Sache mit den typisch deutschen Farben, Tönen, Geschmäcker und Gerüchen ins Spiel brachte, aber als ich noch klein war, war der Geruch gekochter Kartoffeln, gemischt mit Gurkenwasser, für mich heimisch, ein heimatlicher Geruch. Lag vielleicht an meiner Oma, die immer und zu allem Kartoffeln machte und bei der es zu jedem Mittagessen ein Schälchen Salat gab, ganz oft Gurkensalat. Früher, eben.
Aber heute bin ich schon etwas älter geworden, da zählen dann andere Gerüche.
Was riecht nach Heimat?
Einer, vielleicht sogar DER typische Geruch zur Beschreibung Deutschlands, ist dem Deutschen an sich ja gar nicht bewusst. Warum auch. Der Deutsche fürchtet seine Identität, weshalb sollte er sich dann mit seinen Gerüchen auseinandersetzen?
Für die deutschen Geruchsstempel sind nur Außenstehende empfänglich – Touristen, Besucher und die Immigranten. Weltmenschen, als Leute, die viel herumkommen, können am U-Bahn-Mief Weltstädte wie London oder Paris erkennen. Wenn ich also ehrlich bin, welchen Geruch ich eindeutig mit Deutschland in Verbindung bringe, dann ist es der Gestank von Pisse und Bier. So einfach ist das: Pisse und Bier. Das liegt einfach auf der Hand, auch wenn diese Freunde mir damit wieder etwas politisches unterstellen. Nichts anti-deutsch. Ich dachte überhaupt nichts böse, Pisse und Bier bildet bei mir, um ganz ehrlich zu sein, eine eindeutige Geruchskulisse, die ich mit nichts anderen als mit Deutschland verbinde. Ist so. Ich dachte an den ostholsteinischen Schützenfesten meiner Kindheit, erinnerte mich wieder an die Schnapsleichen, die vor den Urinale in den Toilettenwagen ihren Rausch ausschliefen und sich nicht daran störten, wenn über sie hinweg gepinkelt wurde.
Vielleicht nicht unbedingt das, was gemeint oder erwartet wurde. Olli lächelte eher gequält, nachdem ich meine Ausführungen beendet hatte und blickte hilflos aus sein Bier. Bestimmt musste er gerade. Er stand dann auf, ging aber nicht zur Toilette, sondern holte von seinem gläsernen Schreibtisch einen Brief, den er mit feierlicher Miene aus dem Umschlag holte, langsam öffnete und auf eine Pause wartete. „Silenzio“, forderte Andreas.
„Danke“, meine Olli, baute sich vor uns auf und deutete damit an, das es jetzt um etwas ganz Grosses gehen könnte. „Meine Herren, es geht um die Essenz, um den Geschmack und um die Stimmungen und Gefühle unseres Landes. Wir haben hiermit“, wobei er den Brief wie einen Sieg hochreckte, „einen echt liberalen Auftrag bekommen!“
Dann las er diesen Brief vor, zumindest im wesentlichen.
Der Brief war von einem liberalen Kulturwerk, es ging im wesentlichen um den deutsch-amerikanischen Kulturaustausch und um Stipendien und Austauschprogramme, so genau verstand ich das aber nicht, da Olli ganze Passagen mit unverständlichen Gemurmel überging. Die Rede war aber auch von Fonds und Zuschüssen und ich meinte: Geil, jetzt geht es nach Amerika. Aber Mitnichten. Tatsächlich ging es um einen Gast aus Amerika, um den wir uns hier kümmern sollten. Der hier mit Land und Leuten zusammengebracht werden sollte. Für vierzehn Tage. Dieser liberale Auftrag bestand darin, diesem Gast einen liberalen Reiseführer zur Verfügung zu stellen, sozusagen, der als „Wegweiser, Ratgeber und Betreuer unser Land repräsentiert“, wie Olli hervorhob. Bevor er dann meinte, ob das nicht genau die richtige Aufgabe für mich sei. Wieso ausgerechnet ich?!
„Wer sonst?“. Das kam von Uwe, der dann meinte, kein anderer hätte soviel Zeit wie ich, außerdem sei ich doch „unabhängig“; was immer das heissen sollte.
Übrigens würde es 2000 Euro für diese zwei Wochen geben, gab Olli zu bedenken. Und glotze mich an, als ob er gerade ein Weihnachtsgeschenk überreicht hatte. Wie sich aber herausstellte, waren diese 2000 Euro für Kost und Logis gedacht. „Wohnen kann er ja bei Dir im Hotel, Platz hast Du ja.“ Klar.
Denn ich verfügte als einziger über Wohneigentum, geerbt und relativ zentral gelegen, inklusive zweites Schlafzimmer, also Gästezimmer.
Was durchaus ungünstig sein kann, wie in Situationen wie diesen festzustellen ist. Nicht, dass ich ungastlich wäre, manchmal nerven aber Gäste im Heim, besonders wenn sie länger bleiben, als geplant. Wobei ein Gast aus den Staaten natürlich ein bisschen etwas anderes ist, das musste ich zugeben. Und die Gelegenheit, einem fremden Besucher nach eigener Regie unser komisches Land präsentieren zu dürfen, regte durchaus meine Fantasie an.
„Wenn ich noch ein Bier kriege, überlege ich es mir.“
Das Bier wurde mir gewährt. Im Hintergrund sang Morrissey in dezenter Zimmerlautstärke…

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