Zwei Wochen später war es dann soweit, ich hatte daran weder gedacht, noch damit gerechnet. Eines Abends klingelte es an der Tür und davor stand Jerry Brugman als Yonkers, New Jersey, wie er sich vorstellte.

Ein Mann, mindestens um die vierzig Jahre alt, klein, mit einer Halbglatze und angedeutetem Vollbart versehen sowie untersetzt. Er stand da, guckte irritiert mich und auf den Klingelnamen, abwechselnd, und ich guckte zurück und wußte wohl nicht ganz.
„Wegen die Kneipe und das Kultur“ sei er da, meinte er, half damit dann aber meinem Gedächtnis auf die Sprünge.
Ich erinnerte mich vage an mein missverständliches Angebot damals. Also gut, soll er rein kommen. Ich bat ihn in mein kleines Domizil.
(…)

Jetzt waren also meine kneipenkulturelle Kenntnisse gefragt.
Aber eigentlich interessierte er sich auch für Sport, wie sich bald herausstellte. Besonders für Fussball, einer Ballsportart die, wie er meinte, in den USA zwar immer noch eine Nische ausfülle, dennoch auf eine stabile und zunehmende Entwicklung verweisen könne.
Damit konnte ich nun überhaupt nicht dienen.
Sport.

Sicher, Sport als energiespendende Betätigung natürlich, aber ich fand überhaupt noch nie ein Interesse daran, anderen Menschen bei ihrer sportlichen Betätigung zuzusehen.
Und dem Fankult, insbesondere beim Fußball, kann ich höchstens aus philosophischen Gründen etwas abgewinnen. Deutscher Fußball, so wurde von Mister Brugmann begeisternd erklärt, hätte er bereits gesehen, er hätte sich nach seiner Ankunft in Europa bereits eine ganze Woche in Berlin umsehen und aufhalten können. Hier „in die Provinz“ jedoch sollte es sich um etwas völlig anderes drehen, meinte er und ich hatte den vagen Verdacht, dass es sich bei Berlin im Verständnis eines Durchschnittsamerikaners um eine Potemkinsche Fassade handeln würde, im touristischen Sinne. Also um ein Zerrbild

Jerry war Stipendiat eines amerikanischen Kulturinstituts und hätte eigentlich die Aufgabe, nach dem Amerikabild in der deutschen Literatur zu forschen. Er wolle deshalb das Wesen der Gesellschaft dieses Landes kennenlernen, undsoweiter. Und Deutschland, da wäre er sich ganz sicher, sei doch traditionell ein Kneipenland. Man hatte ihm nun mich als verlässlich Führer durch die Kneipenwelt der Stadt empfohlen, was einerseits im geringen Maße ehrte, mich andererseits jedoch wesentlich mehr beschämte, könnte dadurch doch der Eindruck entstehen, ich würde zum Personal dieser Halbwelt gehören, mindestens jedoch ein Trunkenbold, ein Säufer sein. Und das bin ich keinesfalls, kenne mich trotzdem in dieser Szenerie ziemlich aus, denn in der Tat handelt es sich aber bei dieser Welt der Lokalitäten um eine kuriose Ansammlung verschiedenster Kulissen und Szenerien, die jede Besichtigung Wert sind.

Und das gilt im ausgesprochenen und besonderen Sinn für Lübeck.
(…)

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