Ein neuer Timmerberg! Ich muss gestehen, erst spät die Bücher von Helge Timmerberg zu schätzen gelernt habe. Ich kannte den Namen schon seit den goldenen TEMPO-Zeiten und es sammelte sich in meiner Bibliothek die Hälfte seiner Werke an (weil GONZO). Aber Zeit für ihn fand ich erst seit dem vergangenen Jahr.

Aber egal! Den neuesten Timmerberg, „Lecko Mio“, sehnte ich förmlich herbei. Es ging um das Altern eines Mannes, „siebzig werden“, und da wollte ich nicht noch zwanzig Jahre warten. So lange bleibt mir noch bis siebzig, denn vor wenigen Monaten wurde mir bewusst, schon fünfzig geworden zu sein. Deshalb interessiert mich das Thema. Vielleicht wäre in den nächsten zwanzig Jahren ja noch irgendetwas drin, das könnte ja sein …
In den unterhaltsamen und sehr kurzweiligen 22 Kapiteln geht es um Äußerlichkeiten, Zahnlücken und -brücken, Drogen, Alkohol und Medikamenten sowie um persönliche Bilanzen, Erinnerungen, augenblicklichen Ängsten und verdrängten Erwartungen.
Timmerberg, früherer Reisejournalist, jetziger Reiseschriftsteller, bekennender Kiffer und angehende Kultfigur deutscher Popliteratur, hat so einiges erlebt und mitgemacht. Der Leser erfährt nebenbei, wie auch reifere Menschen abnehmen und gesund bleiben, dass die Sache mit dem Sex auf ein Minimum reduzierbar ist und sich diesbezüglicher Stress in Gelassenheit verwandeln lässt; nämlich durch Meditation. Anders die Sache mit den Ärzten und ihren Diagnosen; allein die Suche nach dem richtigen Zahnarzt entwickelt sich zu einer panikhaften Reise. Und alles nur, weil der gewohnte Zahnarzt plötzlich verstarb. Einfach so. Tot. Wann es mich wohl trifft?
Schicksalsfragen, die besonders für die Leser ab 45 erst richtig nachvollziehbar sind, immer mit der Befürchtung, gleich könnte sich „auf Erden die Hölle“ auftun. Fragen über Fragen.
Helge Timmerberg begegnet solche Fragen aus der Sicht des humorigen Hippies mit heiterer Gelassenheit im Hier und Jetzt. Was soll’s auch: mit siebzig blickt man sowieso ungläubig auf diesen komischen Weg zurück, der hinter einem liegt. Und sich nie vorgestellt, so alt zu werden.
Entstanden ist „Lecko Mio“ übrigens während der Corona-Pandemie, die natürlich auch den Plänen von Reiseschriftstellern zuwider wirkt, denn im Home-Office kann nur sehr eingeschränkt verreist werden. Die im Feuilleton häufig geäußerte Befürchtung, nach Corona würde der Büchermarkt mit den schrecklichsten Quarantäne-Beschäftigungen überschwemmt werden, wird von Timmerberg widerlegt. Sein Buch ist großartig und macht mir Hoffnung. Wäre da nicht die Sache mit dem Mantra – aber das ist eine ganz andere Geschichte. Und die Frage, weshalb der Buchhändler meines Vertrauens seine Bücher in der Reise-Abteilung einsortiert. Helge Timmerbergs Werke sind eindeutig ein Literatur-Kosmos und er möge noch viele Bücher veröffentlichen, in Zukunft…

„Es ist interessant zu beobachten, was passiert, wenn man die Gedanken an morgen nicht mehr akzeptiert.“
Helge Timmerberg. Nur echt, mit der roten Olivetti.