Das Café l´Opera in Barcelona
Dieses kleine Lokal gegenüber der Oper ist eine echte Zeitkapsel.
Das Café l´Opera in Barcelona öffnete im Jahre 1929, Gastronomie befand sich aber auch schon vorher an dieser Stelle. Einst war hier der Start- und Endpunkt der Kutschenlinien von und nach Saragossa und Madrid. Doch von Kutschen keine Spur.
Aber die Zwanziger Jahre sieht man dem Haus durchaus an. Drinnen die erste angenehme Überraschung: hier gibt es noch richtige Kellner alten Stils! Zuletzt hatte ich solche Gentleman in meiner Kindheit erleben dürfen. Echte „Ober“. Ich bin mir sicher, dass diese Gentleman bereits als Piccolo dienten, während ich gerade mit dem laufen begann. Sie schienen wesentlich älter und vermittelten mir deshalb Respekt und Vertrauen. Denn echte Cafés werden nur mit professionellen Kellnern, die man auch als solche erkennt, zu Institutionen. Kellner gehören einfach dazu und haben zeitlos beständig zu sein.
Beständig sind auch die Öffnungszeiten dieses Cafés, das so ziemlich genau in der Mitte des geschäftigen Boulevards, der „Ramblas“ liegt. Durch die Epochen und über Kriege und Krisen hinweg soll das Lokal durchgängig geöffnet gewesen sein. Wie genau „durchgängig geöffnet“ interpretiert wird, bleibt das Geheimnis dieser Legende, an das ich gerne glaube. Ich glaube ja auch fest daran, wieder nach Barcelona zurückzukehren, wenn ich nur, wie es die Sage verlangt, vom Wasser des Fuente de Canaletas, dem eisernen Brunnen an der Ecke Las Ramblas und Placa de Catalunya, an dem seit Anfang der dreissiger Jahre die Anhänger des FC Barcelona ihre Siege feiern, trinke.
Jetzt sitze ich aber noch an einem Tisch im Raum hinter den Tresen des Café l´Opera und lasse still die Patina der vergangenen Epochen wirken. Während des spanischen Bürgerkriegs soll hier einiges los gewesen sein. Deutsche Kommunisten fanden hier Anschluss an spanische Proletarier und linke Regierungsmitglieder.
Während des Zweiten Weltkrieges war das Café l´Opera, Treffpunkt für Widerstandskämpfer. Hier drückten sich Agenten der Mächte herum, so erzählt man es sich. Für manche soll dieses Lokal auf ihrem konspirativen Weg die erste Anlaufadresse gewesen sein.
Nach dem Krieg waren die Anarchisten und Kommunisten weitgehend verschwunden. Das Café war wurde schliesslich Treffpunkt für Aristokraten, Künstler, Musikern und Schauspieler: Hemingway soll hier betrunken an der Bar abgehangen haben, Charlie Chaplin gefeiert haben. Operndiva Montserrat Caballe kam soll in den Pausen aus der Oper gegenüber gekommen sein, sie soll sich nach Sandwiches gesehnt haben, was durchaus verständlich ist.
Und heute? Ab mittags mischen sich Anwohner und Angestellte mit den Touristen, die in den meisten Fällen ganz zufällig hier hinein geraten. Oder draußen bleiben, in der Außengastronomie, direkt auf der Flaniermeile zwischen den verkehrsreichen Straßen und dem nur selten nachlassenden Strom von Menschen aus aller Welt. Und zwischen den berüchtigten Taschendieben. Keine Ahnung, wie es funktioniert.
Immerhin ist draußen die Hitze erträglicher. Routiniert und höchst professionell jonglieren die Ober die Tabletts mit den Bestellungen zwischen dem Autoverkehr und den Menschenmassen hindurch zu den Tischen unter freiem Himmel.
Ist dort kein freier Platz, findet sich meistens drinnen ein Tisch; sitzt dort draußen jedoch kein Mensch, ist es im Café ganz bestimmt überfüllt. Auf diese Regel ist Verlass.
Anfang der 1990er Jahre kam der deutsche Journalist und Autor Helge Timmerberg mit der Hamburger Fotografin Roswitha Hecke vorbei, saß vermutlich abwechselnd draußen wie drinnen und studierte die Menschen in dieser Kulisse, um einen großartigen Text für MERIAN, dem monatlichen Magazin für Städte und Landschaften im Hoffmann und Campe Verlag, zu schreiben. Eine Geschichte über das quirlige Leben an diesem Prachtboulevard und den Mentalitäten dieser Menschen.
Damals, vor über 30 Jahren, drängten sich hier hinten die Touristen. Am und um den Tresen herum war der Platz der Schwulen und Transvestiten, die es hier offenbar nicht mehr gibt, im Zeitalter des Regenbogens scheinen die jetzt überall. Die Alten und Einheimischen sitzen nach wie vor vorne und vor der Tür, daran scheint sich nichts geändert zu haben. Jetzt gerade werden nur ein paar Tische von vier- bis fünfköpfigen Touristengruppen besetzt, die mehr mit den Inhalten ihrer Primark-Einkaufstüten beschäftigt sind, anstatt das Interieur zu bewundern. Direkt gegenüber nahmen gerade zwei Polizisten der Guardia Civil platz, gestalteten ihre Mittagspause anscheinend zu einem Kaffeeplausch, tranken Mokka. Das offene Funkgerät ergänzte die Gesprächskulisse.
Über Marmortreppen geht es bei Bedarf ins erste Geschoss zu den winzigen Toiletten: Kulissen aus einem Film noir. Die polierten Kacheln hinter der halben Schwingtür haben schon viel gehört und gesehen, man sieht es ihnen an.
Ich bestellte neben der obligatorischen Cerveza die Tagliatelle mit Meeresfrüchten, zweifelte aber eine Sekunde, ob diese Wahl vielleicht ein großer Fehler war. Fisch und Meeresgetier bedarf schliesslich besonderer Behandlung und kalte Lagerung, eventuell würde nun diese Bestellung gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen? Doch war es lediglich ein Gedankenblitz, der schnell wieder verschwand. Lange Traditionen und Routinen dieser Gastronomie sorgten für fast religiöses Urvertrauen, das spanische Bier, das hier in einem Glaskelch serviert wird, verstärkt diese Sicherheit: wenn nicht jetzt Meeresfrüchte, hier in Barcelona an genau diesem Ort – wo sonst?
Hier sind die Dinge überwiegend geblieben. Das betrifft auch die deutliche Skepsis, die in den Gesichtern der Älteren abzulesen ist. Zugegeben, in Barcelona gilt keine gespielte Freundlichkeit, eher eine direkte Sachlichkeit. Man ist, wie Timmerberg in „Café Ole“ feststellte, in einer „zentraleuropäischen, mediterranen Metropole“. Und die Leute sind sich dessen durchaus bewußt. Die Ober mögen auf den ersten Blick durch ihre Grobheit abschrecken, ich rate jedoch zu mutigen direkten Augenkontakt und respektvolle Ernsthaftigkeit. Wer die Bestellung besteht, wird belohnt.
Die Nudeln mit den Garnelen und Muscheln waren jedenfalls ganz ausgezeichnet. Empfehlenswert sind auch die Sandwiches und Tapas, die nicht auf der Karte stehen.
Die Karte, die hinten auf allen Tische ausliegt, ist eigentlich sowieso nur für die Touristen.
Und Tourist möchte man im Café l´Opera spätestens nach ein paar Minuten nicht mehr sein. Vergessen Sie deshalb nicht den Brunnen um wiederzukommen.
Café l´Opera
https://www.cafeoperabcn.com/index.php
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Helge Timmerberg
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